6.

Sam sah sich auf seinem vollbepackten Schreibtisch um. Es war dunkel. In L.A. verwandelt sich die Dämmerung schnell in ein tintig-dunstiges Violett. Wahrscheinlich brannte in dem niedrigen Gebäude nur noch in Sams Büro Licht.

Es war ein schmuckloser Raum. Doch Seymore LeVine, einer von Aprils Handlangern, hatte ihm dieses Produktionsbüro, zusammen mit der Sekretärin Rita, für die Dauer der Filmproduktion zugewiesen. Früher nannte man das den Autorenflügel der International Studios. Damals beschäftigten sich Dutzende von Autoren damit, Drehbücher für drei Filme pro Woche zu schreiben. Wer mochte hier alles gesessen haben? Benchley? Agee? War Bill Faulkner auf einen Schluck Whiskey vorbeigekommen?

Sam schüttelte den Kopf. Er hatte Mühe, sich zu konzentrieren. Obwohl er seinen ersten Film noch nicht einmal bis zur Hälfte abgedreht hatte, machte er sich schon Gedanken, wie es hinterher weiterging. Was er schrieb, reichte April weiter, las es nicht einmal. Regisseure und Produzenten verschwanden meist spurlos aus dem Gebäude, nachdem sie ihre Tätigkeit beendet hatten. Man merkte nur an dem neuen Namensschild, daß ein Büro wieder den Besitzer gewechselt hatte.

Doch Sam wollte nicht weiterziehen. Vor zwei Jahren hatte er damit begonnen, Jack and Jill umzuschreiben und damit in Produktion zu gehen. In der Zeit war er mit der Stadt zusammengewachsen. Wohin sollte er auch gehen? Der Gedanke an das kalte, graue New York jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Wie hatten sie sich aufgeplustert mit ihrer kleinen Theatertruppe, mit den kleinen Produktionen, die sie in noch kleineren Theatern aufführten! Würde er sich überhaupt jemals wieder in einem Leben mit so eng gesteckten Grenzen zurechtfinden?

Zwar hatte Sam Shields die Produktion von Jack and Jill voll im Griff, doch mitunter überfiel ihn eine mörderische Angst. Er konnte seine Termine nicht einhalten, hinkte fast eine Woche hinter der Zeit her, und April hatte ihm schon zweimal die Hölle heiß gemacht.

Ihr erster wütender Anruf hatte ihn schockiert. Immerhin waren sie einmal, wenn auch nur für kurze Zeit, zusammen ins Bett gegangen. Doch dann hatte er ein Verhältnis mit Crystal angefangen. Als April ihn nun so wütend anschrie, glaubte er zunächst, sie mache ihm eine Eifersuchtsszene.

»Was nimmst du dir eigentlich heraus?« schrie April bitterböse.

»Tut mir leid, ich wollte dir nicht wehtun, April. Das ist einfach so passiert«, versuchte er kleinlaut eine Entschuldigung.

»Wovon, verdammt noch mal, redest du da?«

Sam hielt es für unwahrscheinlich, daß sie nichts von seiner Affaire mit Crystal wußte. Jeder im Ensemble wußte davon, Crystals Mann ausgenommen. April hatte gute Informanten. Wenn sie wirklich nichts gewußt hatte, würde LeVine schnell dafür gesorgt haben, daß die Wissenslücke aufgefüllt wurde. Seymore LeVine, offiziell Co-Produzent, war nur ein Schnüffler. Sein Vater war der Boss von International und auch Aprils Boss. April mußte also alles wissen. Vielleicht wollte sie ein volles Geständnis. Manche Frauen bestanden auf so was.

»Crystal und ich... also irgendwie ist das...«

»Heiliger Strohsack! Das! Die schläft doch mit allen Regisseuren. Wen kümmert das schon? Aber warum hängst du schon zwei ganze Tage hinter dem Termin her? Ist dir überhaupt klar, was das kostet? Wir haben noch nicht einmal mit den Außenaufnahmen begonnen. Seymore hat ausgerechnet, daß wir mindestens eine Woche hinter der Zeit herhinken.«

Sam mußte erst umdenken. »Zieh es mir von meinem Gehalt ab.«

»Entzückend! Es kostet schon jetzt das Doppelte dessen, was du insgesamt zu erwarten hast. Ahnst du,, was ein Tag an Studioaufnahmen kostet? Diese Saukerle von der Gewerkschaft machen Hackfleisch aus uns, wenn du nicht aufpaßt. Keine Überstunden, verstanden? Das ist ein Befehl. Wozu, verflucht noch mal, brauchst du überhaupt Zeit zum Proben? Wir sind nicht am Broadway.«

»Mike Nichols probt immer mit seinem Ensemble. Und als Schauspielerin braucht Crystal... «

»Du bist kein Mike Nichols, Sam, und Crystal ist keine Schauspielerin. Dreh endlich den Scheißfilm runter. Verstanden?«

Sie legte auf.

Seit dem Anruf lebte Sam in Angst, das Budget zu überziehen. Auch wenn er ein Mike Nichols gewesen wäre, konnte man Crystal Plenum mit Sicherheit keine Schauspielerin nennen. Sie war ein Star. Sam begriff erst jetzt den Unterschied. Sie hatte Sam auf Schritt und Tritt bekämpft, wenn er ihr den Sinn ihrer Rolle beizubringen versuchte. Sie wollte die Jill in voller Hollywoodmaskierung spielen: manikürte Fingernägel, hübsches Outfit. Sie hatte die Rolle ja unbedingt haben wollen, hatte sogar darum gekämpft. Doch sie wollte eine Crystal Plenum-Jill daraus machen, und das durfte Sam nicht zulassen.

Sam konnte sich keine Niederlage leisten. Der Gedanke daran, hier zu versagen, lähmte ihn vor Grauen. Nur im Bett wurde er mit Crystal richtig fertig. Da konnte er sie umschmeicheln und ihr versichern, wie toll sie herauskommen würde.

Schon am folgenden Morgen haderte sie mit ihrer Frisur. »Gott, ich sehe beschissen aus!« rief sie bei einem Blick in den Spiegel.

»Du siehst aus, wie Jill aussehen muß«, sagte Sam.

»Ich sehe alt aus.«

»Super. Du bist müde, du bist einsam, dein Leben taugt nichts. So siehst du aus.«

Er legte die Hände um ihr Gesicht und zwang sie, sich von dem Spiegel abzuwenden. »Du wirst sie alle mitreißen. Du wirst die Rolle deines Lebens spielen.«

Sie sah ihn mit einem unsicheren Kinderblick an. Sie, die immer auf ihr Aussehen baute und hatte bauen können, wußte nicht weiter, wenn das Äußere nicht mehr gefragt war.

Als Crystal sich die ersten Drehtage vorführen ließ, brach sie weinend zusammen. Sie weinte eine ganze Nacht und den nächsten Tag. Die Dreharbeiten mußten ausfallen.

Wieder beruhigte Sam sie. Und er beschloß, daß künftig niemand mehr die Aufnahmen des Tages zu sehen bekam, außer Seymor, ihm und dem Aufnahmeleiter. Sam hielt die Filmrollen unter Verschluß. Er achtete auf das Budget und hatte zweimal pro Nacht Sex mit Crystal. Das war anstrengend, aber machbar.

Denn trotz des Zeitdrucks und all der anderen Schwierigkeiten, fühlte er sich endlich im Mittelpunkt. Das, was er vollbrachte, würden einmal Millionen sehen, nicht nur einige hundert. Und alles wäre auf Celluloid gebannt, bis das Material zerfiel. Er schuf sich ein Stückchen Unsterblichkeit.

New York war sehr weit weggerückt. Er dachte nur ungern daran. Denn mit dem Leben von damals verband ihn nichts mehr. Er nannte ein Büro sein eigen, ein Büro in den International Studios. Er verfügte über eine Sekretärin und hatte ein Verhältnis mit dem großen Filmstar Crystal Plenum. Zwar störte es ihn sehr, daß sie verheiratet war. Doch Crystal versicherte ihm, daß ihre Ehe nur noch auf dem Papier existierte und diese Affäre keine Rolle spiele, genausowenig wie ihre vierjährige Tochter.

Bethanie war Sam natürlich rechtlich losgeworden. Ihr hatte er ja auch nichts versprochen. Immerhin war sie durch ihn nach L.A. gekommen, konnte sich eine Wohnung leisten und spielte kleine Rollen in Seifenopern. Sie hatte also nicht den geringsten Grund zu klagen.

Oft dachte Sam an Mary Jane. Scham und Schuldgefühle plagten ihn. Er hätte sie anrufen sollen. Doch er hielt sich an den Wahlspruch seines Vaters: Was vorbei ist, ist vorbei. Dennoch fehlte sie ihm. Er hätte sich gern mit ihr über die Oberflächlichkeit und die kleinlichen Eifersüchteleien in L.A. lustig gemacht. Keine andere Frau hatte es je fertiggebracht, in Sam so viel Selbstvertrauen zu wecken.

Andererseits war es richtig gewesen, sich nicht mit Mary Jane in Verbindung zu setzen. Sie wäre ihm bei Crystal nur im Weg gewesen, und er hätte auch keine Zeit für sie gehabt.

Die schoenen Hyaenen
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